Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 03. März 2016 – I ZR 40/14 entschieden, dass Händler, die auf der Internet-Plattform Amazon-Marketplace Produkte zum Verkauf anbieten, eine Überwachungs- und Prüfungspflicht auf mögliche Veränderungen der Produktbeschreibungen ihrer Angebote trifft, auch wenn diese selbstständig von Dritten vorgenommen werden und der Plattformbetreiber derartige Änderungen zulässt.
Zur Entscheidung
In dem entschiedenen Fall hatte ein Händler auf der Amazon-Marketplace-Plattform eine „Fingermaus“ angeboten. Hierzu hat er auf einer von Amazon bereitgestellten Maske, die dann als digitale Katalogseite für Kaufinteressenten zur Verfügung steht, eine Produktbeschreibung eigegeben. Diese Katalogseite steht dann auch anderen Händlern zur Verfügung, die später ein gleichartiges Produkt einstellen. Die anderen Verkäufer können die eingegebenen Produktbeschreibungen nachträglich ohne Zustimmung oder Einflussmöglichkeit des ursprünglichen Erstellers uneingeschränkt ändern.
In dem entschiedenen Fall hatte ein anderer Verkäufer die Produktbeschreibung später so verändert, dass nicht mehr die ursprüngliche Herstellerbezeichnung enthalten war, sondern stattdessen unberechtigt eine geschützte Wortmarke verwendet wurde.
Der ursprüngliche Verkäufer hatte den Inhalt der Produktbeschreibung weiter verwendet, aber nach seinem erstmaligen Eintrag nicht mehr überprüft.
Er wurde von dem Inhaber der genannten Wortmarke gemäß § 14 Abs. 5 MarkenG auf Unterlassung und gemäß §§ 670, 677, 683 BGB auf Erstattung der Abmahnkosten in Anspruch genommen. Die Vorinstanzen und der BGH gaben dieser Klage unter dem Gesichtspunkt einer Störerhaftung statt.
Auch wenn der Beklagte den markenverletzenden Inhalt nicht selber eingestellt habe, so habe er diesen jedenfalls im Sinne des Markenrechts „benutzt“, da auch die von ihm angebotene „Fingermaus“ aufgrund der nachträglichen Änderungen durch den Dritten mit dem geschützten Markenzeichen gekennzeichnet war.
Als Störer könne bei der Verletzung absoluter Rechte auch auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, wer ohne Täter oder Teilnehmer zu sein in irgendeiner Weise willentlich und adäquat-kausal zur Verletzung des geschützten Rechtsguts beiträgt.
Um diese Störerhaftung aber nicht uferlos auf Dritte auszuweiten, welche die rechtswidrige Handlung nicht selber vorgenommen haben, setzte die Haftung des Störers eine Verletzung von Prüfpflichten voraus. Der Umfang bestimme sich danach, ob und inwieweit dem als Störer in Anspruch genommenen nach den Umständen eine Prüfung zuzumuten ist. Dabei seien die Funktionen und Aufgabenstellungen des Störers ebenso zu berücksichtigen wie die Eigenverantwortung des Dritten, der die Handlung selbst unmittelbar vornimmt.
Der BGH hat die Ansicht der Vorinstanzen bestätigt, dass dem Beklagten bei einer Einstellung seines Produkts und der Produktbeschreibung bei Amazon-Marketplace eine entsprechende Überwachungs- und Prüfungspflicht hinsichtlich der etwaig von Dritten nachträglich an seinem Angebot und an seiner Produktbeschreibung vorgenommenen Änderungen trifft. Dem Beklagten sei es auch rechtlich und tatsächlich möglich gewesen, die Störung zu beseitigen.
Denn einem Verkäufer, der seine Waren und Produktbeschreibungen auf der Handelsplattform von Amazon einstelle, sei bewusst, dass diese durch Dritte nachträglich geändert werden können. Durch das Einstellen der Waren und der Produktbeschreibung bei Amazon treffe ihn unmittelbar die Verpflichtung, für die angebotenen Produkte nicht mit unzutreffenden Angaben zu werben und diese nicht unter fremden Marken anzubieten. Dieser Verpflichtung könne er sich auch nicht abschließend dadurch entledigen, dadurch dass er als Erstanbieter des Produkts die neu angelegte Produktbeschreibung zutreffend erstelle. Vielmehr treffen ihn Überwachungs- und Prüfungspflichten, wenn er unter der Produktbeschreibung dauerhaft und nach zeitlicher Unterbrechung erneut Artikel anbiete. Dies ergebe sich unter dem Gesichtspunkt eines gefahrerhöhenden Verhaltens in Form der Tätigkeit als Anbieter auf der Handelsplattform von Amazon.
Denn wenn andere Händler die tatsächliche Möglichkeit haben, die Produktbeschreibung des Erstanbieters inhaltlich unbeschränkt zu ändern, liege es nahe, dass diese auch davon Gebrauch machen werden. Vor diesem Hintergrund könne der Beklagte nicht darauf vertrauen, dass allein wegen wettbewerbsrechtlicher Vorschriften oder den Teilnahmebedingungen des Plattformbetreibers keine Veränderungen an seiner ursprünglichen Produktbeschreibung vorgenommen werden.
Die Verpflichtung, die Richtigkeit einer Produktbeschreibung dauerhaft zu gewährleisten, gefährde weder das Geschäftsmodell des Händlers auf Amazon-Marketplace noch das Geschäftsmodell von Amazon.
Der BGH bestätigte ausdrücklich, dass sich die Rechtspflicht zur Prüfung und zur Abwendung von Rechtsverletzungen neben dem Gesetz und vertraglichen Regelungen auch aus dem Gesichtspunkt eines gefahrerhöhenden Verhaltens ergeben können. Da Dritte die Produktbeschreibung jederzeit ändern können, qualifizierte der BGH die Tätigkeit als Händler auf Amazon-Marketplace als ein entsprechendes gefahrerhöhendes Verhalten. Denn jede weitere Nutzung der Verkaufsplattform erhöhe die Gefahr von Rechtsverletzungen.
Insoweit sei unerheblich, ob die Aufnahme einer anderen Marke in die Produktbeschreibung von Amazon nicht gewünscht und mit den Teilnahmebedingungen unvereinbar ist. Ob und ggf. inwieweit eine Haftung von Amazon als Plattformbetreiber begründet wird, wurde im Streitfall ausdrücklich nicht entschieden.
Die Prüfungspflicht der Händler auf Amazon-Marketplace bestehe auch ohne einen vorherigen Hinweis auf eine Rechtsverletzung durch ein bestimmtes Angebot.
Die Händler seien nicht Dienstanbieter im Sinne der §§ 8-10 TMG, die keiner allgemeinen Überwachungspflicht unterliegen.
Auch sei die Einstellung eines Angebot auf Amazon-Marketplace nicht dem Setzen eines Hyperlinks auf einen fremden Inhalt vergleichbar, bei dem eine proaktive Überwachungspflicht nicht bestehe, wenn der Verwender sich den Inhalt des Links nicht zu Eigen macht.
Denn aus Sicht des Verkehrs treffe den Händler unmittelbar die Verantwortung für die von ihm veröffentlichten Angebote.
Da der Erstanbieter seine Produktbeschreibung nicht mehr überprüft hat, war die Verletzung seiner Prüfungspflichten auch adäquat-kausal für die Markenverletzungen. Insoweit greife der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass die Rechtsverletzung auf der Pflichtverletzung beruhe.
Hinweis für die Praxis
In dem entschiedenen Fall war nicht streitig, dass die Produktbeschreibung eine Kennzeichnung enthielt, welche die eingetragene Wortmarke des Klägers verletzte. Interessant ist die Entscheidung vielmehr, da ein Händler auf der Amazon-Marketplace-Plattform haftet, der diese verletzenden Beschreibungen selber gar nicht aufgenommen hat.
Bei Amazon-Marketplace können sämtliche Händler eine voreingestellte Produktbeschreibung für ihre Angebote nutzen. Dies erleichtert das Einstellen der Produkte, da nicht jedes Mal neu eine Beschreibung der Waren und deren Eigenschaften angelegt werden muss. Hierdurch kann das Einstellen der Waren deutlich schneller erfolgen, als wenn diese Produktbeschreibung jedes Mal selber eingegeben werden müsste. Andere Anbieter können die Beschreibung später ändern, ergänzen und bestenfalls optimieren. Auf der anderen Seite birgt dies jedoch auch Gefahren. Denn jeder Händler kann die Produktbeschreibungen nachträglich ändern. Der BGH hatte eine Verhältnismäßigkeitsabwägung vorzunehmen, in wie weit dem Händler eine laufende Prüfung aufzuerlegen und zumutbar ist, um sowohl die Käufer als auch die Inhaber von Markenrechte vor falschen Produktbezeichnungen oder Markenrechtsverletzungen zu schützen.
Da der angesprochene Verkehr die Warenangebote jeweils als eigene Angebote des Händlers beim Amazon-Marketplace versteht, wurde es für zumutbar gehalten, dass der Händler dann auch laufend eine Überprüfung der Richtigkeit „seiner“ Produktbeschreibung vornimmt. Denn wenn er von der Zeitersparnis und der fortlaufenden „Optimierung“ durch die vorgefertigte Produktbeschreibung profitiert und sich der Änderungsmöglichkeiten durch Dritte bewusst ist, stelle allein das Einstellen von Produkten in die Amazon-Marketplace-Plattform eine Gefahrerhöhung für Rechtsverletzungen durch Dritte dar. Diese Gefahrerhöhung muss der Händler dann durch laufende Prüfungen ausgleichen.
Der BGH hat ausdrücklich noch nicht über eine Haftung von Amazon für die Markenrechtsverletzung auf diesem Wege entschieden. Insoweit bleibt abzuwarten, ob auch das Zurverfügungstellen des Amazon-Marketplace mit den Änderungsmöglichkeiten an sich als gefahrerhöhendes Verhalten angesehen wird, in welchem Umfang dann Prüfungs- und Überwachungspflichten bestehen, und ob Amazon dann ggf. neben dem Händler auch als Störer auf Unterlassung in Anspruch genommen werden kann.
Stichwörter
§ 14 Abs. 5 MarkenG, Überwachungspflicht, Prüfungspflicht, Störerhaftung, Markenrecht, §§ 670, 677, 683 BGB, gefahrerhöhendes Verhalten, Prüfungspflichten, Produktbeschreibung, Betreiber von Handelsplattform, Online-Shop, Verkaufsplattform