Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 6. Oktober 2016 – VII ZR 328/12 die Anforderungen an einen ausgleichspflichtigen neuen Kunden im Sinne des § 89b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HGB unter Berücksichtigung der europäischen Richtlinie 86/653/EWG konkretisiert.
Zur Entscheidung
Im entschiedenen Fall ging es darum, ob ein Vertriebsmitarbeiter, der von dem Unternehmer nur mit dem Vertrieb bestimmter Kollektionen betraut war, auch für diejenigen Kunden einen Handelsvertreterausgleich beanspruchen kann, die auf den Kundenlisten des Unternehmers für andere Kollektionen bereits aufgeführt waren.
Der BGH stellt zunächst klar, dass die Vorschrift des § 89b HGB die Vorgaben des Art. 17 der Europäischen Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften in Mitgliedsstaaten betreffend die selbstständigen Handelsvertreter (ABL EG Nr. L 382, S. 17) in das deutsche Handelsgesetzbuch umgesetzt hat. Die Vorschrift ist danach unter Berücksichtigung dieser Richtlinie auszulegen.
Der Gerichtshof der Europäischen Union hatte mit Entscheidung vom 7. April 2016 entschieden, dass diese Richtlinie dahin auszulegen sei, dass die von einem Handelsvertreter für Waren geworbenen Kunden auch dann als neue Kunden im Sinne dieser Bestimmung anzusehen seien, wenn sie bereits wegen anderer Waren Geschäftsverbindungen mit dem Unternehmer unterhielten, sofern der Verkauf der Waren durch diesen Handelsvertreter die Begründung einer speziellen Geschäftsverbindung erfordert hat.
Der BGH stellt zunächst klar, dass nicht jede Erweiterung eines Kundenstamms durch den Handelsvertreter gem. § 89b HGB ausgleichspflichtig ist. Vielmehr seien dabei sowohl Erweiterungen quantitativer Art als auch qualitativer Art zu berücksichtigen.
Danach sind neue Kunden im Sinne des § 89b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HGB jedenfalls solche Kunden, die mit dem Unternehmer vor dem Tätigwerden des Handelsvertreters noch kein Umsatzgeschäft getätigt haben. Es handele sich dagegen nicht um einen neuen Kunden, wenn der Unternehmer lediglich das Sortiment erweitere und die schon bestehenden Kunden auch die Artikel des erweiterten Sortiments erwerben.
In Übereinstimmung mit der Europäischen Richtlinie soll aber ein Anspruch auf Ausgleich bestehen, wenn die Geschäftsverbindung mit vorhandenen Kunden durch den Handelsvertreter wesentlich erweitert wird, der Unternehmer aus dem Geschäft mit diesen Kunden noch erhebliche Vorteile zieht und die Zahlung eines solchen Ausgleichs unter Berücksichtigung aller Umstände der Billigkeit entspricht.
Unter Berücksichtigung der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union sowie der zugrunde liegenden Europäischen Richtlinie dürfe der Begriff des „neuen Kunden“ nicht eng ausgelegt werden. Entscheidend sei vielmehr ob der Vertrieb der Waren von Seiten des Handelsvertreters Vermittlungsbemühungen und eine besondere Verkaufsstrategie im Hinblick auf die Begründung einer speziellen Geschäftsverbindung erfordere.
Wenn der Unternehmer dem Handelsvertreter nur einen bestimmten Teil der Kollektion zum Vertrieb anvertraue, könne dies ein Indiz dafür sein, dass diese Waren zu einem anderen Teil der Produktpalette gehören, als die Waren, die dieser Kunde bisher gekauft habe. Ob dies tatsächlich so sei müsse aber durch das Gericht geklärt werden.
Hinweis für die Praxis
Der BGH konkretisiert die Abgrenzung zwischen Bestandskunden und neu geworbenen Kunden im Rahmen des Handelsvertreterausgleichsanspruchs gem. § 89b HGB. In dem entschiedenen Fall wurde es dem Vertreter zwar einfacher gemacht, bestimmte Kunden anzusprechen, da er Listen mit bestehenden Kunden des Unternehmers hielt. Diese Kunden bestellten aber nicht ohne Weiteres Waren aus dem Sortiment, das dem Handelsvertreter zum Vertrieb übergeben wurde. Der BGH konkretisierte die Auslegung des „neuen Kunden“ im Sinne des § 89b HGB in Übereinstimmung mit den europäischen Vorgaben dahin, dass es für die Qualifikation als Neukunde im Wesentlichen darauf ankommt, ob für den Verkauf der konkreten Waren durch den Handelsvertreter Vermittlungsbemühungen und eine besondere Verkaufsstrategie im Hinblick auf die Begründung einer speziellen Geschäftsverbindung erforderlich waren.
Insoweit soll es also nicht auf das allgemeine Bestehen einer Geschäftsverbindung ankommen, sondern auf den Vertrieb von konkreten Waren und die dafür erforderlichen Vermittlungsbemühungen.
Stichwörter
Handelsvertreterausgleich, § 89b Abs. 1 Satz 1 HGB, Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie 86/653/EWG, BGH Urteil vom 6. Oktober 2016 – VII ZR 328/12, neuer Kunde, Handelsvertreter, Ausgleichsanspruch, Vertriebsbemühungen, Kundenliste