Voraussetzung persönlicher Haftung bei Einziehung von GmbH-Anteilen

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 10. Mai 2016 – II ZR 342/14 entschieden, dass bei Einziehung eines Geschäftsanteils eine persönliche Haftung der verbleibenden GmbH-Gesellschafter für die Abfindungszahlung erst und nur dann entsteht, wenn sich dies Gesellschafter unter Fortsetzung der GmbH ansonsten den wirtschaftlichen Wert des eingezogenen Geschäftsanteils unbillig einverleiben.

Zur Entscheidung

In dem entschiedenen Rechtsstreit hatten die Gesellschafter die Einziehung eines Geschäftsanteils einvernehmlich, also mit Zustimmung des Betroffenen, beschlossen. Die Abfindung sollte in drei Raten erfolgen. Die ersten beiden Raten wurden bezahlt. Die letzte Rate wurde nicht mehr bezahlt, da die Geschäftsführer der Gesellschaft zwischenzeitlich Insolvenzantrag gestellt hatten. Der ausgeschiedene Gesellschafter nahm die verbleibenden Gesellschafter daraufhin persönlich auf Zahlung der letzten Rate in Anspruch.

Der BGH führte zunächst aus, dass er mit seinem Urteil vom 24. Januar 2012 – II ZR 109/11 klargestellt habe, die Einziehung eines Geschäftsanteils sei grundsätzlich unabhängig von der Zahlung der Abfindung wirksam. Die übrigen Gesellschafter können daher zur anteiligen Zahlung der Abfindung persönlich verpflichtet sein, wenn die Gesellschaft wegen der Sperre aus § 34 Abs. 3, § 30 Abs. 1 GmbHG die Abfindung nicht zahlen könne.

Die persönliche Haftung der verbleibenden Gesellschafter entstehe aber weder mit der Fassung des Einziehungsbeschlusses noch allein aufgrund des Umstandes, dass die Gesellschaft später zum Zeitpunkt der Fälligkeit aufgrund der Kapitalerhaltungsvorschriften an der Zahlung der Abfindung gehindert ist oder sie jedenfalls unter Berufung auf die Kapitalerhaltungsvorschriften verweigert.

Entscheidend für das Entstehen der persönlichen Haftung der verbleibenden Gesellschafter sei vielmehr ein Billigkeitsgedanke.

Die verbleibenden Gesellschafter sollen nicht auf der einen Seite den ausgeschiedenen Gesellschafter eine Abfindung unter Berufung auf die Kapitalerhaltungsvorschriften verweigern während sie andererseits aber auch nicht anderweitig dafür sorgen, dass die Abfindung aus ungebundenen Vermögen der Gesellschaft geleistet werden kann, oder die Gesellschaft fortsetzen, anstatt sie aufzulösen, weil sie darin einen wirtschaftlichen Vorteil und einen Mehrwert für ihren Anteil erblicken. In diesem Fall sollen die verbleibenden Gesellschafter zum Ausgleich des Mehrwertes, den sie durch die Einziehung des Geschäftsanteils des ausgeschiedenen Gesellschafters erhalten haben, persönlich haften.

Die persönliche Haftung der Gesellschafter setze daher ein treuwidriges Verhalten voraus. Sie entstehe erst in dem Zeitpunkt, ab dem die Fortsetzung der Gesellschaft unter Verzicht auf Maßnahmen zur Befriedigung des Abfindungsanspruches des ausgeschiedenen Gesellschafters als  treuwidrig anzusehen ist.

Das Vermögen der verbleibenden Gesellschafter erhöhe sich schon in Folge des Wegfalls des eingezogenen Geschäftsanteils um dessen Wert. Andererseits begründe eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der Gesellschaft allein keine persönliche Haftung der Gesellschafter. Dies gelte auch, wenn die Abfindung nicht mehr aus freiem Vermögen gezahlt werden kann, die Gesellschaft aber aufgelöst wird und die verbleibenden Gesellschaft sich damit den Mehrwert des eingezogenen Geschäftsanteils nicht einverleiben. In dieser möglichen Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage der Gesellschaft verwirkliche sich das Risiko, welches der ausscheidende Gesellschafter durch die Stundung der Abfindungszahlung (in einer Satzungsregelung oder später bei der Einziehung) eingegangen sei.

Wenn die Voraussetzungen der Billigkeitshaftung vorliegen, haften die verbleibenden Gesellschafter dagegen sowohl bei einer Einziehung gegen den Willen des ausgeschiedenen Gesellschafters als auch bei Einziehung seines Geschäftsanteils mit seiner Zustimmung. Der Grund der Haftung, dass die Gesellschafter sich den Wert des eingezogenen Geschäftsanteils einverleiben ohne eine angemessene Abfindung sicherzustellen, bestehe bei einer Einziehung mit Zustimmung des ausscheidenden Gesellschafters als auch bei einer Einziehung ohne seine Zustimmung.

Eine persönliche Haftung der verbleibenden Gesellschafter komme auf der anderen Seite nicht ohne weiteres in Betracht, wenn objektiv ein ausreichendes Vermögen für die Abfindungszahlung durch die Gesellschaft vorhanden ist, so dass diese die Abfindung ohne Verstoß gegen die Kapitalerhaltungsvorschriften leisten könnte.

Dass die Gesellschaft nicht zahle, obwohl sie ohne Verstoß gegen die Kapitalerhaltungsvorschriften zahlen dürfte, bedeutet noch nicht, dass sich die Gesellschafter per se treuwidrig verhalten. Die Nichtzahlung könne auch andere Gründe haben. Insoweit liege das Risiko, dass die Gesellschaft die Abfindung nicht freiwillig zahlt, bei dem ausgeschiedenen Gesellschafter. Er muss den Anspruch gegen die Gesellschaft gegebenenfalls gerichtlich durchsetzen.

Eine persönliche Haftung der verbleibenden Gesellschafter entstehe auch dann nicht ohne Weiteres, wenn im Zeitpunkt der Fälligkeit der Abfindung oder einzelner Raten davon, oder nach dieser Fälligkeit über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet wird oder die Gesellschaft jedenfalls insolvenzreif wird und die Antragstellung nicht treuwidrig verzögert wird. Denn die Eröffnung des Insolvenzverfahrens führe gemäß § 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG zur Auflösung der Gesellschaft, so dass schon aus diesem Grund eine treuwidrige Fortsetzung der Gesellschaft durch die verbleibenden Gesellschafter ausscheide.

Der BGH hat das Urteil der Vorinstanzen aufgehoben und die Sache zur weiteren Verhandlung zurückverwiesen. In diesem Zusammenhang erteilt er auch folgende zusammenfassende Hinweise an die Vorinstanzen:

  • Eine persönliche Haftung der verbleibenden Gesellschafter bestehe nicht, solange die Gesellschaft nicht gemäß § 34 Abs. 3, § 30 Abs. 1 GmbHG an der Zahlung der Abfindung gehindert war. Es muss also festgestellt werden, ob die Gesellschaft über das eingetragene  Stammkapital hinausgehendes freies Vermögen verfügte.
  • Eine persönliche Haftung der verbleibenden Gesellschafter entstehe nicht allein aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vor Zahlung der letzten Abfindungsrate. Insoweit wären ggf. Feststellungen dazu zu treffen, ob die Gesellschaft schon vor Antragstellung insolvenzreif war und die Antragstellung treuwidrig verzögert wurde.
  • Die Vorinstanz müsse feststellen, ob die verbleibenden Gesellschafter die Zahlung der letzten Abfindungsrate in treuwidriger Weise vereitelt hätten, etwa durch treuwidriges Herbeiführen der Voraussetzung der §§ 34 Abs. 3, 30 Abs. 1 GmbHG oder durch treuwidrige Herbeiführung der Insolvenzreife der Gesellschaft.
  • Bei der Beurteilung eines treuwidrigen Verhaltens sind auch Vereinbarungen der Gesellschafter  im Zusammenhang der Einziehung und dem Ausscheiden des Gesellschafters zu beachten, insbesondere wenn in diesem Rahmen Vereinbarungen dafür getroffen werden, dass sich die Vermögenslage der Gesellschaft nachträglich verschlechtert und die Abfindungsraten dann nicht mehr gezahlt werden können.

Der BGH stellt im Zusammenhang mit den Vereinbarungen der Gesellschafter ausdrücklich klar, dass individuelle Vereinbarungen hinsichtlich der subsidiären Haftung der Gesellschafter bei Ausfall der Gesellschaft im Zusammenhang mit der Einziehung getroffen werden können. Die Gesellschafter können nicht nur hinsichtlich der Zahlung der Abfindung abweichende Regelungen vereinbaren, sondern sie können auch die subsidiäre Haftung der in der Gesellschaft verbleibenden Gesellschafter regeln, soweit die allgemeinen Grundsätze keine zwingenden Vorgaben enthalten.

Danach sei es grundsätzlich nicht zwingend erforderlich, dass die verbleibenden Gesellschafter dafür sorgen, dass der ausgeschiedene Gesellschafter seine Abfindung auch dann in voller Höhe erhält, wenn die Gesellschaft wegen einer Verschlechterung ihrer Vermögenslage diese Abfindung nicht mehr zahlen kann. Denn grundsätzlich muss der ausgeschiedenen Gesellschafter nur so gestellt werden, wie er bei einer Auflösung der Gesellschaft durch Beschluss der Gesellschafter stehen würde, da er auch mit der Auflösung hinsichtlich seines Abfindungsanspruches nur so gestellt würde, als sei er noch Gesellschafter.

Hinweis für die Praxis

Das Urteil ist eine Weiterentwicklung der Rechtsprechung des BGH zur Einziehung von Geschäftsanteilen der GmbH, die mit Urteil vom 24. Januar 2012 – II ZR 109/11 eingeleitet wurde.

Es geht um die Fragen, ob die Einziehung eines Geschäftsanteils auch wirksam ist, wenn die Gesellschaft aufgrund der gesetzlichen Vorschriften zur Kapitalerhaltung (§§ 30 ff. GmbHG) die Abfindung an den ausscheidenden Gesellschafter von Anfang an nicht bezahlen kann bzw. darf, und die Einziehung des Geschäftsanteils sofort oder erst mit der tatsächlichen Zahlung der vollständigen Abfindung wirksam wird.

Für diese Fragen wurde unter anderem die Ansicht vertreten, dass eine Einziehung des Geschäftsanteils insgesamt gemäß § 134 BGB unwirksam sei, wenn die Abfindung auf Grund der Kapitalerhaltungsvorschriften von Anfang an nicht gezahlt werden könne, da dann der Einziehungsbeschluss gegen ein gesetzliches Verbot verstoße. Wenn sich nachträglich herausstellt, dass die Abfindung nicht geleistet werden könne, wurden unter anderem die Ansichten vertreten, dass die Einziehung trotzdem sofort wirksam ist, dass sie unwirksam ist, oder – vermittelnd – dass bestimmte Gesellschafterrechte ruhen, bis die Abfindung geleistet wurde.

Der BGH hat dann mit dem Urteil vom 24. Januar 2012 – II ZR 109/11 ein eigenes Konzept entwickelt, wonach die Einziehung grundsätzlich sofort wirksam ist, die verbleibenden Gesellschafter aber persönlich für den Abfindungsanspruch des ausgeschiedenen Gesellschafters haften, wenn die Gesellschaft die Abfindung nicht zahlen könne.

Diese Haftung ist so im Gesetz nicht vorgesehen, sondern wurde von dem BGH aus einem allgemeinen Billigkeitsgedanken bzw. aus Treu und Glaube entwickelt. Die verbleibenden Gesellschafter sollen sich den wirtschaftlichen Wert des Geschäftsanteils des ausscheidenden Gesellschafters durch die Einziehung nicht einfach einverleiben, wenn Sie auf der anderen Seite nicht dafür sorgen, dass der ausscheidende dann auch die entsprechende Abfindung von der Gesellschaft erhält. Wenn sie es doch tun, haften sie eben persönlich – womit dann letztlich der „einverleibte Wert“ bei ihnen wieder abgeschöpft wird.

Wie bei den meisten Erscheinungsformen der „Billigkeitshaftung“ muss der BGH nun in der folgenden Rechtsprechung die Voraussetzungen einschränken, bzw. konkretisieren.

So wird in der Entscheidung zunächst eher beiläufig klargestellt, dass die Einziehung des Geschäftsanteils zwar grundsätzlich sofort wirksam ist – aber nur, wenn die Gesellschafter nichts anderes vereinbart haben. Auch zur persönlichen Haftung der verbleibenden Gesellschafter, deren Voraussetzung, Umfang etc. sind Vereinbarungen zwischen den Gesellschaftern zulässig und bei einer Bewertung der Unbilligkeit zu berücksichtigen, wenn die Gesellschaft dann später die Abfindung nicht oder nicht vollständig bezahlen kann.

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