Zahlung nach Insolvenzreife – Haftung des Direktors einer Limited in Deutschland gem. § 64 GmbHG

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 15.03.2016 – II ZR 119/14 entschieden, dass der Direktor einer Limited, über deren Vermögen in Deutschland das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, gemäß § 64 Satz 1 GmbHG für Zahlungen nach dem Eintritt der Insolvenzreife haftet.

Zur Entscheidung

Nach § 64 Satz 1 GmbHG sind die Geschäftsführer der Gesellschaft, bzw. nach Insolvenzeröffnung dem Insolvenzverwalter, zum Ersatz von Zahlungen verpflichtet, die die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Feststellung der Überschuldung geleistet wurden.

Diese Haftung sei auch auf den Direktor einer Limited anwendbar, über deren Vermögen ein Insolvenzverfahren in Deutschland eröffnet wurde.

Denn der Zweck der Vorschrift bestehe darin, Masseverkürzungen im Vorfeld des Insolvenzverfahrens zu verhindern bzw. bei einem Verstoß die Wiederauffüllung des Gesellschaftsvermögens zur ranggerechten und gleichmäßigen Befriedigung sämtlicher Gesellschaftsgläubiger sicherzustellen.

Damit werde im Regelfall nicht ein Schaden der Gesellschaft erfasst, sondern ein Schaden der künftigen Insolvenzgläubiger. Denn die verbotswidrigen Zahlungen erfolgen zur Erfüllung von Verbindlichkeiten der Gesellschaft und führen bei dieser daher nicht zu einem Vermögensschaden, sondern nur zur Verkürzung der Insolvenzmasse im nachfolgenden Insolvenzverfahren. Dieser Schaden treffe allein die späteren Insolvenzgläubiger.

Dieser Gesetzeszweck treffe auf die Limited gleichermaßen wie auf die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) zu.

Denn in beiden Gesellschaftsformen (i) haften die Gesellschafter grundsätzlich nicht mit ihrem persönlichen Vermögen für die Gesellschaftsschulden; (ii) werden die Geschäfte von verantwortlichen Personen geführt, die nicht notwendigerweise auch als Gesellschafter beteiligt sind; (iii) bestehe die Gefahr, dass der Geschäftsführer bzw. Direktor durch Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife die Insolvenzmasse zu Lasten der zukünftigen Insolvenzgläubiger verkürzt.

Dies rechtfertige es, die Direktoren der Limited in Bezug auf die Haftung für Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife mit den Geschäftsführern gleich zu behandeln.

Diese Rechtsanwendung stehe auch nicht im Widerspruch zu Unionsrecht.

Auf die entsprechende Vorlage des BGH hatte der Gerichtshof der Europäischen Union festgestellt (ZIP 2015, 2468):

–          Art. 4 EuInsVO sei so auszulegen, dass in seinen Anwendungsbereich auch eine Klage vor einem deutschen Gericht falle, mit dem eine Haftung gem. § 64 Satz 1 GmbHG hinsichtlich einer Limited geltend gemacht werde, über deren Vermögen in Deutschland das Insolvenzverfahren eröffnet wurde.

–          Art. 49 AEUV und Art. 54 AEUV stehen der Anwendung einer nationalen Vorschrift wie § 64 Satz 1 GmbHG auf den Direktor einer Limited, über deren Vermögen das Insolvenzverfahren in Deutschland eröffnet wurde, nicht entgegen.

Hinweis für die Praxis

Mit dem Urteil vom 15.03.2015 – II ZR 119/14 hat der Bundesgerichtshof die Haftung des § 64 Satz 1 GmbH letztlich ihrem Inhalt nach als „insolvenzrechtlich“ qualifiziert, obwohl die Vorschrift im GmbH-Gesetz, also im „Gesellschaftsrecht“ der GmbH geregelt ist.

Als Begründung wird angeführt, dass der Schaden durch die verbotenen Zahlungen letztlich nicht die werbende Gesellschaft trifft. Denn für diese findet in der Regel ein vermögensneutraler Austausch von Bilanzpositionen statt. Wenn die Zahlung von einem Konto mit Guthaben erfolgt, hat die Gesellschaft danach weniger Kontoguthaben aber gleichzeitig auch weniger Verbindlichkeiten in gleicher Höhe (da diese erfüllt wurden). Noch deutlicher wird es bei einer Zahlung unter Ausnutzung des Kontokorrentkredits. Dann wird die Verbindlichkeit des Kontokorrentkredits erhöht, während die erfüllte Verbindlichkeit in gleicher Höhe entfällt. Es wird also nur eine Passivposition gegen eine andere Passivposition in gleicher Höhe getauscht.

Durch die vorgezogene Befriedigung eines bestimmten Gläubigers wird das entsprechende Vermögen aber der Insolvenzmasse entzogen und steht damit nicht mehr zur gleichmäßigen Befriedigung sämtlicher Gläubiger im Rahmen des Insolvenzverfahrens zur Verfügung.

Diese Einordnung im insolvenzrechtlichen Schutz- und Regelungsbereich hat für die geschäftsführenden Organe ausländische Kapitalgesellschaften mit wesentlichem Tätigkeitsschwerpunkt oder tatsächlichem Sitz in Deutschland eine entscheidende Bedeutung.

Denn nach der sogenannten Inspire Art-Entscheidung des EuGH (EuGH, NJW 2003, 3331) zur Niederlassungsfreiheit von Kapitalgesellschaften  ist die in einem Mitgliedsland der EU nach den Vorschriften dieses Gründungsstaates wirksam gegründete, rechtsfähige und in der Haftung auf ihr Vermögen beschränkte Gesellschaft auch in den anderen Mitgliedsländern als solche anzuerkennen. Die Gesellschaft kann also ihren Sitz innerhalb des europäischen Wirtschaftsraums frei verlegen, ohne ihre Existenz oder Haftungsbeschränkung zu verlieren. Der BGH hat daher anerkannt, dass sich die gesellschaftsrechtliche Haftung bei diesen „zugezogenen“ Gesellschaften grundsätzlich nach dem ausländischen Recht des Gründungsstaates richtet (BGH, NZG 2005, 508). Auf die englische Limited ist daher grundsätzlich das englische Gesellschaftsrecht und nicht das deutsche GmbH-Gesetz anwendbar. 

Anders ist dies aber im Rahmen des Insolvenzrechts. Denn die Insolvenzordnung ist eine Verfahrensordnung. Für diese ist in Art. 4 EuInsVO ausdrücklich vorgesehen, dass ein Insolvenzverfahren an dem Ort eröffnet wird, an dem die Gesellschaft hauptsächlich tätig ist bzw. ihren Sitz hat ( „center of main interest“). Insoweit wäre also das deutsche Insolvenzrecht auch auf die englische Limited mit Sitz in Deutschland anwendbar. Indem der BGH die Haftung aus § 64 Satz 1 GmbHG inhaltlich dem Schutz der Insolvenzgläubiger und damit dem „Insolvenzrecht“ zugeordnet hat, wurde der Weg frei, diese Haftung auch auf Direktoren der Limited zu erstrecken.

Dogmatisch hat der BGH diesen Schritt allerdings nicht vollzogen, indem er § 64 Satz 1 GmbHG ausdrücklich zu einer eigentlich insolvenzrechtlichen Vorschrift im GmbH-Recht umqualifiziert hat – was die Urteilsbegründung zunächst nahe legt. Vielmehr wird der vergleichbare insolvenzrechtliche Schutzzweck nur herangezogen, um eine entsprechende Anwendung zu rechtfertigen.  Letztlich schwingt aber auch dabei die insolvenzrechtliche Qualifikation der Haftung gem. § 64 Satz 1 GmbHG mit. Denn wenn die gesellschaftsrechtliche Haftungsbeschränkung der Limited aufgrund der europarechtlichen Niederlassungsfreiheit nicht nach dem deutschen Gesellschaftsrecht, sondern allein nach den ausländischen Vorschriften des Gründungsstaates zu beurteilen ist, dann kann diese Niederlassungsfreiheit auch nicht durch eine haftungsbegründende analoge Anwendung des deutschen Gesellschaftsrechts umgangen werden.

Die Haftung gem. § 64 Satz 1 GmbHG unterscheidet sich aber in einem wesentlichen Punkt von der anzuerkennenden Haftungsbeschränkung des ausländischen Gesellschaftsrechts hinsichtlich der „Rechtsform“.  § 64 Satz 1 GmbHG regelt die persönliche Haftung der Organe für eigene Handlungen, die sich in der Insolvenz der Gesellschaft auswirken. Da sich diese Handlungen in der Regel am stärksten am „center of main interest“ der Gesellschaft und auf die dortigen Insolvenzgläubiger bzw. das dortige Insolvenzverfahren auswirken, kann dies als Argument dafür herangezogen werden, eine Haftung für diese Handlungen nach dem Recht des Staates zu beurteilen, in dem gemäß Art. 4 EuInsVO das Insolvenzverfahren eröffne und durchgeführt wird.

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